Hamburg, meine Perle oder Hansa? Nix gut!

Erst ein Mal ist für die sehr gute Organisation der Reise, ein Dank an Murat zu richten. »Schöner Reisen mit Murat« wäre auch ein passender Begriff für diese Fahrt. Den Dank voranzustellen, soll zum besseren Verständnis des Reiseberichts dienen und etwaige Zweifel an der Ernsthaftigkeit ausschließen.

Letztes Jahr haben wir nach längeren Diskussionen, auch mit der Jugendleitung über Zuschüsse, beschlossen, eine Mannschaftsreise nach Hamburg zu planen. Aus den Zuschüssen wurde nix. Seit Jahren wird immer noch auf die Zuschüsse von Jahrzehnten davor verwiesen. Aber unerschrocken planten Eltern, Kinder und »Schöner Reisen mit Murat« die Reise.

Ein Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Erschöpfte Eltern, in der S-Bahn sitzend, eine Horde lebhafter Jugendlicher um sie herum hüpfend. Lärm machend. Kein Mucks von den Eltern. Nur die Hoffnung auf ein wenig Schlaf. Selber Schuld. Wir hätten halt früher schlafen gehen sollen. Dennoch – bei soviel Abenteuern schafft es uns doch auch noch.

Begonnen hat die Reise bei wunderbarem Wetter und mit fehlendem Bus. Krisenerprobt (unsere Kinder spielen bei Hansa) überlegten wir hin und her. Loswandern nach Hamburg? Ein paar Hundert Kilometer. Wann kämen wir an?

Wenn nix sonst fährt …

Zum Glück hatte »Schöner Reisen mit Murat« vorgesorgt. Nur noch zwei Bahnfahrkarten mussten wir beschaffen, um den Weg zu finden. Hinter dem Lokführer sitzend, hatten wir einen wunderbaren Ausblick auf die Zukunft. Ab und zu versuchten wir unseren Söhnen ein paar ihrer Süßigkeiten abzuschwatzen. Biovollkornbrot kann mit Gummibärchen, Schokolade und anderen Köstlichkeiten nicht immer konkurrieren.

Nach der kurzen Fahrt kamen wir in Hamburg an und schlugen uns zum Jugenddorf durch. Vergessen hatte ich das Gefühl, zu dieser Art von Dörfern. Einerseits günstig und abgelegen gelegen, sind die spartanische Einrichtungen, bei denen Erwachsene in zu kleinen Betten nächtigen dürfen. Mentaltrainer nutzen solche Einrichtungen meist für das Überlebenstraining ihrer Opfer.

So bezogen wir unsere luxuriösen Mehrbettzimmer und gingen zur ersten Mahlzeit. Kulinarische Restauranttester wären zu ihrem Spaß gekommen. Nudeln, eher Tapetenkleister ähnlich, mit einer fleischlosen Fleischsoße. Das vegetarische Essen sah deutlich besser aus. Also Vegetarier werden ist für die nächste Fahrt beschlossen. Ist sowieso gesünder.

Den Nachmittag nutzten wir für den ersten Überfall auf Hamburg. Den Wikingern ähnlich durchforsteten wir St. Pauli. Beatlesplatz. Die berühmte Esso Tankstelle mit dem höchsten Umsatz Deutschlandweit. Einige von uns wollten dort übernachten und eine Zählung vornehmen. Nach einigen Diskussionen sind wir dennoch weitergelaufen.

Nach dem ersten Großstadtausflug kamen wir, von Reise und Wanderung erschöpft, im Jugenddorf an. Einige Kids zeigten uns, dass Erschöpfung relativ ist und joggten davon. Am späteren Abend schloss sich Murat den Joggern auch noch an, weil er der österreichischen Betreuerin einer kirchlichen Gruppe unsere Sportlichkeit beweisen musste. Respekt. Fünf Runden lang mussten wir ihn anfeuern. Wir Eltern dagegen, hingen hier schon in den Seilen. Dafür wurden wichtige Dinge anschließend bei Mond und Sternen diskutiert. Unter anderem die Frage, wie Mülleimer in unterschiedlichen Sprachen buchstabiert wird. Im österreichischen Sprachgebrauch heißt es, so lernten wir, »Mistkübel«.

Mein Fehler war, dass ich nicht vor den anderen Männern schlafen ging. Ein Sägewerk macht weniger Krach. Spätestens hier bekam ich Mitleid mit meiner Frau und meinen Kindern, die mein Sägen ohne Oropax bisher ertragen mussten.

Bisher schrieb ich wenig über die Jungs. Die gingen, wie die Reiseleitung beschloss, früher schlafen. Eine Übung, die bei uns Eltern normalerweise nicht gelingt. Dennoch war es komischerweise vermeintlich still. Vielleicht kamen sie auch mit den ausgeteilten Hausaufgaben nicht zu Recht.

Das Programm war so ausgelegt, dass zum Ausschlafen nicht viel Zeit blieb. »Schöner Reisen mit Murat« hatte das Frühstück vorgezogen, um alle geplanten Termine einzuhalten. Schon wieder sahen die Kinder fitter aus als wir.

Heute sollte es eine Hafenrundfahrt sein. Logisch: die Gründer von Hansa waren Spreefahrer, zuerst Binnenschiffer auf der Elbe, sodass es nahe liegend ist, den Traditionen zu folgen. Der Kahn, in den wir stiegen, sah sehr voll aus. Die ersten von uns flüchteten, weil sie zum Glück vor der Abfahrt seekrank wurden. Ein Highlight der Flussfahrt war die Ansicht eines englischen Hubschrapschrapträgers, der scheinbar aus Langeweile im Hamburger Hafen lag. Vielleicht war auch der Sprit ausgegangen. Eine Hanseatische Attraktion ohne Gleichen. Aber dazu später.

Winke, winke.

Anschließend war Shopping angesagt. Kreuzberger Kinder in den Hamburgischen Gefilden fallen gar nicht auf. So passten wir uns der Umgebung an und zogen durch die Innenstadt. Abends fielen wir wieder erschöpft in unsere Betten.

Gelegentlich trainierten unsere Kids auf dem Platz Fußball. Auch gejoggt wurde wieder.

Abends diskutierten die Eltern bei Mondschein die Übernahme des englischen Hubschrapschrapträgers am nächsten Tag. Als Tarnung übten wir die russische Nationalhymne und gingen alle technischen Details durch.

Am nächsten Morgen zogen wir zu unserer von »Schöner reisen mit Murat« versprochenen Überraschung. Wieder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, mussten die Eltern beim Lesen der Bildzeitung feststellen, dass der Hubschrapschrapträger schon von Bildreportern geentert wurde.

Die eigentliche Überraschung war aber der Besuch am »Millerntor«, der Heimat des FC St. Pauli. Dort erwartete uns eine Putzfrau des Vereins zur Führung durch die Katakomben des Stadions. Ein Highlight war die Spielerkabine. Ein Entspannungsbad in der Dusche blockierte dieselbe. Leider durften wir auch nach Rückfrage nicht ins Sprudelbad springen. Ein besonderer Bereich im Stadion ist für Rollstuhlfahrer vorgesehen. Ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen diese während des Spiels. In dem Stadion befindet sich auch eine öffentliche Kindertagesstätte. Die Wartezeiten für einen Platz möchte ich mir nicht vorstellen. Im oberen Bereich des Stadions gibt es noch Lounges, die wir besichtigten. Eine war auf alt getrimmt. Die Wasserflecken sahen täuschend echt aus. Hier fanden wir auch  den Aufkleber »HANSA – Nix Gut«. Wusste jemand vorher, dass wir das Stadion besuchen wollten? Letzter Höhepunkt war hier der Besuch des Presseraums. So konnten einige unserer Spieler der Presse ihre Sicht der Dinge kundtun.

Kein Kommentar, nächste Frage bitte.

Wieder zurück im Jugenddorf – zum Grillen und Fußball schauen.

Vorher durfte jeder noch im Hansaeigenen Wettbüro seinen Tipp abgeben. Dicht gedrängt auf zwei Betten schauten wir uns das Champions-League-Finale an. Die draußen Sitzenden konnten je nach Aufschreien, den Vorteil der eigenen Mannschaft erkennen. Zu guter Letzt hatten die Chelseafans mehr Glück. Die enttäuschten Bayernfans beklagten sich noch einen Tag später über das Ergebnis, sowie auch die Herthafans, denen der Abstieg immer noch nicht passte.

Am Sonntag verließen wir in Ruhe den Platz. Dem Chaos wurde ein  Ende gesetzt. Diszipliniert schritten wir zur Rückfahrt in kleinen Gruppen.

Am Nachmittag erholten sich Murat, Jeanné und ich uns auf einem der schönsten Plätze Hamburgs in der Sonne von den Urlaubsstrapazen. Auf die Frage der Schaffnerin im Zug, wo die Kinder auf unserer Fahrkarte wären, zuckten wir schwach mit den Schultern und sagten nur »Millerntor«.

Ein letzter Kommentar: Wir freuen uns alle auf das nächste Jahr und auf den nächsten Trip mit »Schöner Reisen mit Murat«.

(Autor: Friedrich D.)

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