Irgendwo dazwischen liegt Hansa

28. Spieltag: Hansa 07 – SV Blau Weiss Berlin II 5:0 (1:0)

blauweissWovon lebt der Fußball eigentlich? Vielleicht von der ach so gerühmten Tradition, vielleicht von einem Dietmar Hopp. Wer weiß das schon mit Bestimmtheit. Bei Hansa wirken die großen Fragen der Fußballwelt eh eine Spur zu breit. Aber wer sich nach einem 5:0 zufrieden auf die Heimreise begibt, hat doch zumindest einen guten Sonntagnachmittag erlebt. Muss es denn wirklich mehr sein?

Klagen über den Werteverfall im Fußball, unter dem arg strapazierten Stichwort Kommerzialisierung, sind (immer wieder) ganz groß in Mode. Kein Stammtisch, an dem nicht auch derzeit hitzige Debatten darüber geführt werden, wo eigentlich Tradition und aufrichtige Treuschwüre enden und – Achtung, das ist auch so eine verschlissne Vokabel! – der Seelenverkauf beginnt. Grob betrachtet, zerfällt die einstige Gemeinschaft in zwei rivalisierende Blöcke.

Die einen, die den Zeitgeist für ihre Argumentation exklusiv beanspruchen, sagen, dass Wolfsburg, Hoffenheim und ein paar neureiche Russen demnächst die Fußballweltherrschaft übernehmen werden, oder es sogar schon längst getan haben, damit müsse man sich halt abfinden, sagen sie resignierend und zahlen freiwillig ins Phrasenschwein: Geld schieße eben doch Tore. Die anderen, die noch daran glauben, dass man nur seinen Sohnemann mit ins Stadion nehmen muss und der dann sein Herz für den Rest seines Lebens an Papas Truppe verschenkt, die wiederum sagen, dass sich der gemeine Fan durchaus noch Gehör verschaffen kann, dass man sich nur vor Heuschrecken und Rohstoffliferanten hüten und auf die eigene Jugend setzten soll – irgendwo dazwischen liegt auch Hansa.

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Idealist muss man schon sein, um sonntags in die Wrangelritze zu gehen. Romantiker oder Gutmensch vielleicht. Doch wer Fußball in Reinkultur sehen will, so, wie der liebe Fußballgott ihn schuf, roh, ungehobelt und voller pathetischer Ausschweifungen, der hat seinen Hansa-Besuch an diesem Wochenende mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bereut. Hier einige Impressionen: Es gab mindestens zwei sehenswerte Tore, einen lupenreinen Hattrick von Jörg Weikardt, einen Schiedsrichter, der selbst die auf den Platz stürmenden Kinder im Blick hatte, Spieler, die schon Gelb hatten, Fangesänge, die es bis nach Friedrichshain hinüberwehte, F-S-V!, erst später Freibier, einen Torwart, der allen Ernstes den Morgendöner als persönliches Erfolgsgeheimnis verkaufen wollte (O-Ton: „Der war wichtig!“), HANSA 07!, eine gelbe Holzkiste, von der immer noch keiner mitblauweiss3 Sicherheit sagen kann, wem sie nun tatsächlich gehört, und dann gab es noch einen Co-Trainer, der in der sechzigsten Spielminute, als die Kreuzberger in ihre so genannte Hühnchenphase zu verfallen drohten, die Gemüter sanft beruhigte: „Wieso? – Ich bin ruhig.“

20 Prozent

Dabei war die Ausgangssituation drei Spieltage vor Saisonende alles andere als mit Ruhe zu ertragen. Immer noch mischt sich sie Enttäuschung über verpasste Chancen mit der latenten Aufstiegshoffnung, die Hansa-Chefcoach, Ali Ilhan, auf ungefähr „20 Prozent“ taxiert. Und immer noch muss Hansa auf die Ergebnisse des Tabellenzweiten FC Karame schielen, der aber wieder nicht voll punktete. Aktueller Rückstand: Ein Punkt! Doch leider könnte dieses Rechenspielchen schon bald Makulatur sein. Gerüchten zufolge wird noch am grünen Tisch darüber verhandelt, ob der Einsatz eines gesperrten Spielers den Aufstiegskampf zugunsten vom FC Karame entscheidet. Das war die frustrierendste Nachricht des Tages, die vor Redaktionsschluss nicht weiter kommentiert werden konnte. Fortsetzung folgt.

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Zum Beispiel am nächsten Sonntag. Wieder ein Heimspiel und wieder die Frage: Wie muss ein Fußballspiel sein, das den zeitlichen und emotionalen Aufwand lohnt? Welche Nische hat die Moderne parat? Für Hansa? Für alle, die Fußball nicht als Massenphänomen begreifen, das sich jedem Kapital blind an den Hals wirft? Antworten wird es in der Wrangelritze nicht geben. Nur einen Eindruck davon, wie es vielleicht vor zehn Jahren auch in Hoffenheim zuging. Denn damals kickte der Verein noch in der Kreisliga B.

Aufstellung: R. Selk – Schachner – A. Selk, Karayel, Dumam – Huber (55. Engel), Meiser, Hubmann, Gorelik (25. Rusake) – Catal (60. Kahraman), Weikardt.

Tore: 1:0 Catal (20.), 2:0 Weikardt (55.), 3:0 Weikardt(70.), 4:0 Weikardt (75.), 5:0 Rusake (85.)

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