Alles klar? Hansa! Die Dritte stellt sich vor.

Vor langer Zeit, der Außenminister behauptete noch sein Anzug sei in Wirklichkeit ein Blaumann, lebten verstreut in ganz Kreuzberg frisch eingetroffene Exilanten aus Hessen, viele davon aus dem idyllischen Marburg. Die ungewohnte Umgebung der Großstadt, die gigantischen Menschenmassen, das nicht enden wollende Angebot an Kneipen und mehr als zwei Orte zum Ausgehen, führten bei einigen zur völligen Orientierungslosigkeit.

Es musste etwas Identitätsstiftendes her, ein Stück Heimat in der Fremde. Da die meisten als Söhne von 68ern sozialisiert wurden, kam die Gründung eines Vertriebenen-, respektive Heimatverbandes nicht wirklich in Betracht. Stattdessen traf man sich lieber wöchentlich zum Fußballspielen.

Da schon Mitte des letzten Jahrzehnts außer der Berliner Kommunalpolitik jedermann wusste, dass freie Fußballplätze in Kreuzberg ein sehr seltenes Gut sind, war man hocherfreut, dass in der Wrangelritze Sonntag Nachmittags nicht nur alle Tore offen standen, sondern meist auch noch Gelegenheit zum Kicken bestand.

Unter dem Motto: „Wir sind aus Frankfurt, wir sind aus Hessen, und was wir schei… müsst ihr fressen, unsere Farben sind schwarz-weiß-rot, wir bleiben treu bis in den Tod!!“ verwandelte sich die Wrangelritze jeden Sonntag zum Waldstadion für Nostalgiker. Die Mundpropaganda lief auf Hochtouren, die Freundeskreise wurden während den Vorlesungen in den absurdesten Instituten der Stadt erweitert und der Kader der Hessen wuchs um Saarländer, Ostfriesen, Schwaben und andere Wandervögel.

Manchmal kamen sonntags über 50 Fußballbegeisterte in die Wrangelritze. Zunehmende Querelen, meist mit Leuten die wenig Sportsgeist, dafür aber reichlich falschen Stolz, Ehrgeiz und Eigensinn besaßen, machten einen zwischenzeitlichen Platzwechsel in die Corinthstr. nötig. Der Platz in Friedrichshain erzeugte aber nicht das gleiche Glück wie die atmosphärisch einzigartige Wrangelritze. Auch hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in der Corinthstr. nur ca. 10% des bei der Hansa verstreuten Quarzsandes auf den Platz gekippt, weswegen er sich besonders bei Regen wie Moostundra und nicht wie die lieb gewonnene Gemüsereibe anfühlte.

Anfang 2009 kamen dann folgerichtig einige Leute auf die Idee, dass eine offizielle Platzmiete bei Hansa 07 das Beste wäre. Einen Eintritt in bestehenden Vereinsstrukturen fürchtete mancher, da die Gefahr bestand, dass sich die Einzelspieler auf verschiedene Teams verteilen könnten. Viele wollten jedoch nicht einfach nur kicken, sondern weiterhin das alte Netzwerk für Vetternwirtschaft und den Bezug von Äppelwoi und Seelachs nutzen. Der Vorstand von Hansa schlug vor, eine dritte Herrenmannschaft zu bilden und mit dieser von der Kreisklasse C hinaus den Berliner Fußball zum Tanzen zu bringen. Nach einer längeren Phase der Konsolidierung, in der schier unlösbare Probleme wie das Einsammeln von Anmeldebescheinigungen und Fotos für den Spielerausweis überwunden werden mussten, konnten die verpeilten Exilanten in einem verpeilten Verein eine Erfolgserie starten, deren Ende und auch deren Erfolg momentan noch nicht abzusehen ist.

Seit der letzten Saison spielen wir nun für die Hansa aus Kreuzberg. Die Hinrunde verlief durchwachsen und war trotzdem sehr spaßig. Unsere Heimbilanz braucht sich hinter der des größten Berliner Fußballvereins nicht zu verstecken. Auswärts werden die Punkte geholt. Klare Schwächen offenbaren sich bei einem Blick in die Statistik (jetzt online). Eine Handvoll gelbe Karten zeugen von nicht länger angebrachter Freundlichkeit und Zurückhaltung gegenüber dem Gegner. In geheimen Trainings werden direkt nach dem Ende der Zwangswinterpause (voraussichtlich Mitte Mai 2010) neben „Möllerschwalben“ auch verstecktes Nachtreten, Trashtalk, Taktikfouls und übertriebene Härte auf der Tagesordnung stehen. Am Ende der Saison wird dann unsere neue Hymne erklingen: „Wir sind aus Kreuzberg, wir sind aus dem Westen, und was wir schei… müsst ihr fressen, unsere Farben sind schwarz-gelb, wir bleiben treu bis in den Tod.

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