Ein kollektiver Kantersieg

30. Spieltag: FSV Hansa 07 – RW Neuenhagen I 2:1 (0:1)

Manchmal ist eine Zahl mehr als eine Zahl. Und ein Ergebnis mehr als eine Zahlenfolge. Nämlich dann, wenn sich in einem von dreißig Spieltagen das Training, die Spiele, das Versuchen, das Scheitern, das Schaffen und das Weitermachen, also die Höhen und Tiefen einer ersten Saison verdichten: zu einem großen Ganzen, das sich Mannschaft nennt.Selbst dann, erst recht dann, wenn bereits in der 8. Minute das passiert, was man sich so sehr wünscht, wie einen Stau kurz vor’m Strand: Aus dem gefühlten Nichts kommt von der rechten Seitenlinie eine verunglückte Flanke in Hansas Strafraum, die sich kurz vor knapp noch in einen Torschuss verwandelt und hinter Torwärtin Wittenburg  wie eine reife Pampelmuse vom Baum fällt.

Willkommen zum Spiel FSV Hansa 07 gegen RW Neuenhagen. In Anbetracht der Tabelle heißt das: Hansa gegen den Favoriten. Doch spätestens seit dem Spiel der geplatzten Knoten gegen Frohnau gilt das, was Trainer Wegerhoff mit stoischer Gelassenheit immer und immer wieder erklärte: „Die Rückrunde ist uns.“

Ok. Plumps. Die Pampelmuse ist drin, Hansa im Rückstand und trotzdem oben auf. Jedenfalls so halb, denn es dauert etwa bis zur 20. Minute, bis Hansa das Ruder endlich in die Hand nimmt. Es hagelt Torschüsse im Viersechzehnteltakt: Zunächst ist es die stark aufspielende Skog, drei Minuten später Dauerläuferin Pracht und weitere zwei Minuten später Behre, die Hansa auf den Ausgleich hoffen lassen. Behres erneuter Versuch aus der Distanz, Kanters zum Zunge schnalzender Drehschuss nach Hereingabe von Skog – beide: vergeblich.

Halbzeit. Zeit zum Umstellen. Für die engagierte Außenverteidigerin Hollenbach kommt Agbeyegbe in die Spitze, Kanter dahinter, Abascal Sanchez de Molina rückt auf die 6er Position zurück, Pracht auf  die rechte defensive, Behre auf die linke offensive Seite. Die Marschroute ist klar. Wie von Trainer Wegerhoff gefordert, dominiert Hansa nun das Spiel, lässt Neuenhagen streckenweise überhaupt nicht aus der eigenen Hälfte kommen. Drei Minuten nach Wiederanpfiff ist es Stürmerin Agbeyegbe die mit einem langen Ball aus dem Mittelfeld in den Lauf bedient wird, abschließt, doch in der Torhüterin aus Neuenhagen ihre Meisterin findet.

Anders in Minute 50: Die nur schwer zu bremsende Skog erarbeitet sich auf Sechszehnerhöhe einen Einwurf im Nachsetzen, Pracht befördet diesen weit in den Strafraum hinein, wo Kanter zunächst verlängert, Skog zum Schuss kommt, sich Sekunden des unübersichtlichen Gewusels ereignen, und schließlich Knipserin Kanter zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und den Ball zum ersehnten Ausgleich einnetzt. Zackbumm, Tor. Hansa ist außer sich vor Freude. Die Bilder im Gedächtnis der Autorin: verschwommen. War es zu diesem Zeitpunkt, dass sich erstmals in dieser Saison ein Jubelhaufen bildete? Wie dem auch sei: Kanter und Behre liegen unten, die anderen oben drüber. Schweiß. Hitze. Erleichterung. Gleichzeitig diese unerklärliche Schwere. Und eine dicke Lippe. So fühlt sich das also an.

Zurück zum Spiel: Hansa bleibt am Drücker, gönnt weder sich, dem Spiel noch dem Gegner eine Verschnaufpause. Nur fünf Minuten später ist es wieder die unermüdliche Kanter, die im Strafraum für Aufregung sorgt und zum 2:1 trifft. Wenn sich die Autorin jetzt nicht völlig irrt, simuliert Pracht vor lauter Freude und Kreativität an Kanter die Torjubel-Schuhputz-Choreographie. Ah ja.

Nur wenige Minuten später ist es Behre, die draufhält und auf den Abpraller für Agbeyegbe spekuliert. Auf diesen spekuliert auch sie, verpasst jedoch den Ball knapp. Doch wer nun glaubt, Neuenhagen hätte das Spiel Hansa einfach so widerstandslos überlassen, der vertut sich gehörig. Gerade das offensive Mittelfeld macht Hansa zu schaffen. Überwiegend mit hohen Bällen in den Rücken der hanseatischen Abwehr versucht Neuenhagen, den Ausgleich zu erzielen. So geschehen in folgender Situation: Neuenhagen erobert im Mittelfeld den Ball, bringt ihn hoch nach vorn, kann sich im Zweikampf durchsetzen und schließt ab, Hansas Torwärtin pariert großartig und kann den Ball wegfausten – allerdings genau in das Gesicht der Gegenspielerin. Eine ungewöhnliche Selbstvorlage, die sich die Stürmerin jedoch nicht mehr erlaufen kann. Pech für Neuenhagen. Glück für Hansa. Durchatmen: In der 72. Minute kommt Gugel für Heinicke.

Weil’s so schön und die Saison zu Ende ist, an dieser Stelle ausnahmsweise ein exklusives Zitat aus den Notizen des Trainers zum Spielgeschehen: „Spannung pur!“ Das 3:1 liegt in der Luft. Der Ausgleich aber auch. Dem Team aus Neuenhagen gehen nun aber Mittel und Wege aus; man sucht sein Heil im Fallenlassen ohne Berührung. Durchaus gewieft, mit Vorliebe im Zweikampf mit Knipserin Kanter und Außenverteidigern Pracht. Beide sind bis zuletzt gelb-rot gefährdet. Neuenhagen kann das Spiel spielen, weil der Schiedsrichter es mitspielt.

Zehn Minuten vor Abpfiff bringt Trainer Wegerhoff Seyfahrt für Behre, deren offensive Linksaußenposition wird von Pracht übernommen. Und wie. In der 88. Minute haut Pracht den Ball aus spitzem Winkel nur knapp am Tor vorbei.

Die Zuschauer und Zuschauerinnen sehen an diesem Sonntagmittag eine Begegnung, die gerade in den letzten Minuten an Einzelaktionen und Spielzügen höchst aufregend ist. Erst Recht, als der Schiri zwei Minuten Nachspielzeit anzeigt. Das Publikum, das Team, der Trainer – sie feuern die Spielerinnen an und bangen mit, bis der Herr endlich seines Amtes waltet und zur Pfeife greift. Das Spiel ist aus. Die Saison vorbei. Neun Punkte aus den letzten drei Spielen. Das kann sich sehen lassen. Die Hansa Frauen verabschieden sich aus ihrer ersten Saison, bedanken sich bei Publikum, Reddi, Waltraud und bei ihrem Trainer York Wegerhoff – und sagen leise Goodbye, au revoir, arrivederci, hej da, do widzenia, adiós, farvel, servus und auf Wiedersehen!

Tore: Kanter (50., 55.)

Aufstellung bzw. Spielerinnen der Spiele: Wittenburg, Winterstein, Kaapcke, Hollenbach, Möhring, Pracht, Trzewick, Stegmaier, Nowak, Ehle, Seyfahrt, Fugger, Booker, Messow, Sauer, Gugel, Schiffler, Feldt, Vogel, Drouin, Heinicke, Grein,  Pek, Abascal Sanchez de Molina, Krüger, Skog, Behre, Ahlrichs, Kanter, Agbeyegbe

(Johanna B.)

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