von Moritz Fromm
Kurzer Blick zum Schiedsrichter. Er hat die Pfeiffe im Mund, überlegt. Einen Angriff gibt er ihnen noch. Der Sechser der Eisernen dreht auf, guckt nach vorne. Der lange Ball fliegt in meine Richtung, über mich hinweg. In Erwartung dieser Aktion bin ich zurück gelaufen, der Ball springt jetzt links neben mir auf dem Kunstrasen auf und ab. Ich überhole ihn, drehe mich um 180 Grade. Der Ball kommt jetzt auf mich zu. Die Stürmer sind noch weit weg, zu weit weg. Der Ball springt vielleicht 1,5 Meter vor mir auf den Kunstrasen, ich ziehe mein rechts Bein nach hinten, lasse es nach vorne schnellen, auf den Ball zu, der auf mich zu springt. Mein Spann berührt den Ball kurz, durch diese Berührung wechselt der Ball seine Richtung, fliegt weit zurück in die Spielhälfte aus der er kam. Der Schiedsrichter pfeift, zwei Mal kurz, ein Mal lang. Gewonnen. Ich habe mich wieder um 180 Grad gedreht und schreie meine Freude heraus.
Bislang haben wir 5 Punkte aus 13 Spielen geholt. Den einzigen Sieg gegen eine Mannschaft geholt, die nicht konkurrenzfähig war. Chancenlos waren wir selten. Vielleicht nur in einem Spiel. Wir hatten Schiedsrichterpech und Spielpech, haben die entscheidenden Zweikämpfe verloren, die entscheidenden Chancen vergeigt, der Gegner hat sie meist versenkt. Vorletzte Woche haben wir großartig verteidigt und durch einen Handelfmeter verloren. Letzte Woche hatten wir praktisch einen Punkt in der Tasche, doch dann schießt der Gegner mit der letzten Aktion einen Schuss genau in unseren Torwinkel. Außenstehende hätten vielleicht gesagt: es hat sich angedeutet, dass das Pendel irgendwann auch mal zu euch ausschlägt. Ich habe das nicht kommen gesehen.
Un nach dem ich meine Freude aus mir herausgeschrien habe, sehe ich in den Augen meiner Mitspieler: sie haben es auch nicht kommen gesehen. Pure Freude, gemischt mit ein wenig Unglauben. Man gewöhnt sich ans Verlieren. Aber diesmal haben wir tatsächlich wirklich gewonnen. Union 06 – FSV Hansa 07 0:1!
Wie kam es dazu, dass Hansa Zwo endlich mal wieder ein Fußballspiel gewinnt? Früh am Morgen in Moabit waren zum vereinbarten Treffpunkt immerhin schonmal eine Handvoll Spieler da. Dafür hatten wir weder Torwart, noch Torwarthandschuhe und arschkalt war es auch noch. Immerhin der Platz war in einem akzeptablen Zustand und nach einem der Verspätungssituation geschuldet kurzen Aufwärmen konnte es losgehen.
Schon nach wenigen Minuten musste Malte verletzt runter und wurde von Laszlo ersetzt. Doch Hansa kam gut in die Partie. Union ließ uns hinten relativ viel Zeit zum Aufbauen und probierte es selber fast ausschließlich über lange Bälle von ihrem halblinken Innenverteidiger. Immer wieder gelang es von hinten konstruktive Angriffe zu kreieren. Nach 10 Minuten spielte Moritz einen flachen Pass in Zentrum, von wo aus der Ball hinter die rechte Unioner Abwehrseite gespielt wurde. Max erlief den Ball und spielte von außen in den Rücken der zurück eilenden Abwehr auf Toni, der den Ball mit der Picke in die lange Torecke schoß. Die Führung nach 10 Minuten.
Kurz nach der Führung musste leider erneut verletzungbedingt gewechselt werden und Mehdi kam für Micha in die Sturmspitze. Ab der 20 Minute verlor Hansa den Faden, kam im Mittelfeld kaum noch in Zweikämpfe und hielt vorne keine Bälle. Zwangsläufig wurde Union gefährlicher und hatte einige mittelgute Schusspositionen, die allerdings nicht für viel Gefahr sorgten. Doch nach einer Ecke mitte der Halbzeit sprang Max der Ball an die Hand. Ein Pfiff und keine Proteste später lag der Ball auf dem Elfmeterpunkt. Anlauf, Schuss in die rechte Ecke in die auch David abgetaucht war. Gehalten!
Nach diesem Glücksmoment fand auch der spielende Teil der Mannschaft wieder besser ins Spiel. Angeführt von Laszlo gelang es dem Mittelfeld nun besser zweite Bälle zu gewinnen und ein flaches Aufbauspiel der Unioner zu unterbinden. Mehdi fand in die Partie und ackerte unermüdlich, um für Entlastung zu sorgen. Zwangsläufig stabilisierte sich der Defensivverbund der Zwoten und Union war bis zur Pause kaum noch gefährlich.
Erst die dritte Pausenführung der Saison. Das tat gut. Trotzdem schworen wir uns auf eine schwere zweite Hälfte ein, die zu einer echte Abwehrschlacht werden sollte.
Fast eine halbe Stunde lang machten die Elf in den weiß-schwarz-gelben Trikots nicht anderes, als den Vorsprung aus der ersten Hälfte zu verteidigen. Aber sie taten es eben zu elft, alle Mann. Mehdi rieb sich an der gegnerischen Abwehrkette auf und bildete meist die erste Verteidigungslinie. Max, Rafik und Laszlo dominierten das Zentrum ohne allzu oft selbst am Ball zu sein. Niklas und Gaitan bearbeiten die Flügel, halfen Sven und Rebaar und sorgten gemeinsam mit Mehdi hin und wieder für Entlastung und die Viererkette blieb beim einzig verbliebenen Mittel der Unioner – langen Bällen – überwiegend konzentriert. Diese Bereitschaft verbunden mit einer guten Zweikampfquote sorgte dafür, dass wir zwar kaum Torgefahr ausstrahlten, aber der Gegner eben auch nicht Ein Mal war es zugegebenermaßen richtig knapp. Irgendwo aus dem Mittelfeld flog ein Schuss auf unser Tor zu und ging zum allgemeinen Erstaunen mal nicht ins Tor, sondern an das Lattenkreuz.
Nachdem Mehdi dann eine Viertelstunde vor Schluss der Innenverteidigung des Gastgebers den Ball entwendete und damit die erste hanseatische Torchance der zweiten Hälfte einleitete, entstand in der letzten Viertelstunde ein offener Schlagabtausch. Mehrmals hätten wir das Spiel entscheiden müssen, mehrmals hatten wir Glück nicht den Ausgleich zu kassieren. Bis dann der Schiedsrichter die Pfeiffe im Mund hatte und überlegte…
Manch einem Außenstehenden mag es komisch vorkommen, welche Glücksgefühle ein Amateurfußballspiel auf bescheidenem Niveau in erwachsenen Menschen auslösen kann. Denjenigen möchte ich sagen: Schade, ihr verpasst was. Und nein, du weißt nicht, was dieser Sport in dir auslösen kann, wenn du als Fan mal Deutscher Meister geworden bist, oder 2014 auf der Fanmeile besoffen deine Deutschland-Fahne geschwungen hast. Vielleicht schon eher bei einem Klassenerhalt in letzter Minute, einem überraschenden Sieg in der ersten Pokalrunde. Aber so richtig weißt du es erst, wenn nach 5 Punkten aus 13 Spielen der Schiedsrichter um Viertel vor Elf das Spiel abpfeift und du 1 zu fucking 0 gegen die zweite Mannschaft von Union 06 Berlin gewonnen hast. Wenn du dich morgens um 8 in der U-Bahn gefragt hast, warum um alles in der Welt du das eigentlich machst und du um 15:30Uhr beim fünften Bier glücklich bis euphorisch den Lebkuchen der gerade in der Kneipe stattfindenden Weihnachtsfeier klaust in die Gesichter deiner ebenfalls euphorischen Mitspieler schaust und denkst: Football, bloody hell.