Die Leiden des jungen T.

Der Hansa-Pechvogel

Wer kennt sie nicht, die Spieler, deren Karriere durch stetige Verletzungen, Krankenhausaufenthalte und diverse Gipsummantelungen aller Orts für Verzweiflung bei Fans und Trainern sorgte. Da war Mehmet Scholl, der regelmäßig vor großen Turnieren an irgendwas rumlaborierte und der dann nur die schändliche Euro 2000 spielen konnte, die er wohl im Nachhinein auch lieber verpasst hätte. Jahrelang erinnerte ein Zauberplakat, welches sogar in Stadien auftauchte in denen weit und breit kein Deutscher zu vermuten war, an ein Sturmtalent, welches ebenfalls von Verletzungen in die Knie gezwungen wurde: AIR BÄRON! Nicht zu vergessen der Heiland des deutschen Fußball am Anfang des 3. Jahrtausends – Basti-Fantasti, dessen Laufbahn eben so steil begann, wie sie dann auch abfiel.

Von gerissenen Bändern, splitternden Knochen, gedehnten Sehnen und Löchern in Schienbeinen weiss auch André Tucic zu berichten, der schon heute den Titel „Pechvogel der Saison“ verliehen bekommt, noch bevor die Wahl überhaupt stattgefunden hat. Der spielstarke Linksfuß hat sich bereits zum dritten Mal in dieser Saison eine Verletzung zugezogen, die ihn nun dazu zwingt, sich die Rückserie von der nicht vorhandenen Tribüne aus anzuschauen.

Um allen einen kleinen Einblick in die Passionsgeschichte des André Tucic zu geben, habe ich ihn gebeten, mir seine Krankenakte zur Verfügung zu stellen. Die Angaben sind O-Ton von André.

1996-2000 (B- & A-Jugend 1.FC M´Gladbach)
zahlreiche Bänderdehnungen durchs Skateboardfahren und Fußballspielen. Meist linke Seite, mein Schussbein. In dieser Zeit hatte ich auch ein kleines Loch im linken Schienbein, ebenfalls durchs Skateboardfahren.

Winter 2001 (Herren 1.FC M´Gladbach)
Kahnbein zetrümmert. Snowboard-Urlaub. Elf Tage Skipass. Nach dem dritten Tag war mein Handgelenk dick. Ich dachte, das sei eine Sehnenscheidenentzündung. Hatte ich schon einmal, daher die Vermutung. Ein Irrtum. Zitat des Arztes: „Sie wissen, wie es ausschaut, wenn ein Teller zu Bruch geht? Er zerfällt in zwei bis drei große Scherbenstücke. Nun stellen Sie sich vor, man würde auf dem Teller herumtrampeln. Es ergäbe einen Scherbenhaufen. Genauso sieht ihr Kahnbein aus.“ Er hat es geflickt und mit ner Schraube versehen. Alles top. Die Schraube ist noch vorhanden. Zu der Zeit habe ich nur noch sporadisch Fußball gespielt.

Frühjahr 2002
Ich gehe mit Freunden auf einem Kunstrasenplatz, einen Steinwurf entfernt vom Bökelbergstadion, Fußball spielen. Jedoch war mein Arm noch im Gips. Etwa eine Stunde lang war ich letzter Mann, habe mich kaum bewegt. Dann aber habe ich nen Sololauf gestartet, umkurve drei meiner Freunde, nehme den vierten in Angriff, verliere das Gleichgewicht und bin im Begriff auf meinen Gipsarm zu fallen. Das wollte ich verhindern, indem ich meinen Körper gedreht habe, um auf die rechte Seite zu fallen. Bei dieser Bewegung habe ich linke Wadenbein gebrochen, das linke Sprungegelenk ebenfalls, sogar beidseitig. Ein lauter Knacks, Schockzustand, Krankenwagen. Zitat von meinen Kumpels: „Keine Ahnung, wie du das gemacht hast, das war eine verdammt grob motorische Bewegung.“

Zitat vom behandelnden Arzt im Maria Hilf Krankenhaus Mönchengladbach: „Herr Tucic, mit ihren 22 Jahren haben sie eine so dicke Krankenakte wie ein Fünfzigjähriger.“ Das Sprunggelenk wurde mit zwei Stellschrauben gestützt, das Wadenbein  mit einer Platte samt sieben Schrauben ausstaffiert. Ebenso sind die Außenbänder rund zwei Zentimeter gekürzt worden, da sie ausgeleiert waren. Sechs Wochen lang sollten die Stellschrauben drin bleiben. Nach fünf Wochen gab es nen letzten Röntgen-Check. Pro forma, um zu sehen, dass alles gut verheilt ist. Der Termin war an einem Montag. Zwei Tage zuvor haben mein Mitbewohner und ich eine WG-Party gefeiert.

Ich saß den ganzen Abend auf der Couch. Irgendwann musste ich aufs Klo. Mit Krücken. Doch im Klo selber habe wohl den einen oder anderen Schritt ohne die Gehhilfen unternommen. Ging auch, habe mir also nix doofes dabei gedacht. Dann aber der Röntgen-Termin: Die Bilder wurden gemacht, der Arzt kam aufgebracht zu mir und fragte, wie ich das denn angestellt habe? Denn die Stellschrauben sind wegen Überbelastung durchgebrochen, befinden sich nach wie vor im Gelenk.

2003-2006
Schnauze voll vom Fußball. Und siehe da: Keine Verletzungen.

Frühjahr 2008 (Herren FSV Hansa)
Auswärtsspiel. Keine Ahnung, wo. Ich spiele linkes Mittelfeld. 20 Minuten lang geht nix über meine Seite. Auf dem Platz ist es windig und kalt. Dann plötzlich Steilpass von Ferdi. Laufduell mit meinem Gegenspieler. Nach wenigen Sekunden zwickt es in der Hinterseite des rechten Oberschenkels. Kein weiterer Schritt ist möglich. Muskelfaserriss. Fünf Wochen Pause.

Sommer 2008
Saison-Vorbereitung. Zweikampftraining. Ich grätsche Cengiz den Ball ab , es zwickt im Oberschenkel. Muskelfaserriss. Vier Tage vor dem ersten Ligaspiel. Fünf Wochen Pause.

Winter 2008
Ein Samstag Abend. Zwei verschiedene Privatparties, anschließend zur Balkan Beats-Sause im Lido. Ben, Paul und Stephan Mann sind dort. Wir fallen uns in die Arme, hüpfen und tanzen. Nach wenigen Minuten knicke ich mit dem rechten Fuß um. Bänderdehnung. Drei Wochen Pause. Zuvor war ich seit drei Wochen wieder im Training.

Januar 2009
Vorbereitung. Zweites Hallentraining. Laufduell mit Schachi, der mir drei Schritte voraus ist und alleine aufs Tor stürmt. Er schneidet mir den Laufweg ab, ich trete ihm mit meinem rechten Fuß in die Hacken. Ergebnis: Höllen-Schmerzen, dicker Fuß, innen wie außen. Nicht möglich, eine Socke anzuziehen geschweige denn, einen Schritt zu gehen. Tags darauf der Gang ins Urban-Krankenhaus. Ich werde untersucht und geröngt. Das Röntgenbild zeigt an: Kein Bruch, dafür zwei knöcherne Absplitterungen im rechten Sprunggelenk von älteren Verletzungen. „Die Absplitterungen müssen da weg“, so der Arzt. Für eine Diagnose ist der Fuß noch zu dick. Daher Weiterbehandlung am Montag bei einem Unfallchirurgen mit dem ich auch besprechen werde, wie man mit den knöchernen Absplitterungen verfährt. Vermutlich OP bei der auch meine Außenbänder gekürzt werden. Der Krankenhausarzt vermutet wegen der immensen Schwellung, dass ich einen Bänderriss habe, innen und außen. Bis Montag ist mein Fuß in einer Gipsschiene und ich bin mit Krücken unterwegs.

Lieber André,
an dieser Stelle wünschen wir dir gute Besserung und hoffen, dich mit frisch gestutzen Bändern in der neuen Saison wieder in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Ein bisschen Robert Prosinecki-Flair braucht Hansa einfach!
WALK ON!

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