Unter dem Andreaskreuz schließt sich langsam, sehr langsam, ein Kreis (sound as fuck)
Dies ist vermutlich der Spielbericht mit der längsten Leitung der Welt. So ziemlich jede Deadline für den Redaktionsschluss wurde gerissen. Und das lag
nicht an unseren schottischen Freunden. Die waren so dermaßen auf Zack, dass sie es fertigbrachten, das gesamte Spiel am 03. September 2022 komplett mit
der Padcam von Jenny, der Frau eines der Spieler von Kelso F.C. zu filmen. Stuart, hat in diesem Spiel ein geradezu unglaubliches Tor erzielt. Direktannahme an der Strafraumkante. Ball kommt hoch rein über rechts, Stuart steht da mit seinen gut 20 Stones, ruhig wie ein Büffel, unsere Innenverteidigung
geht respektvoll zwei Schritte auf Abstand, er schraubt seine Stones in die Luft, dreht sich und hämmert die bescheuerte Kugel unter die Querlatte- einfach so.
Da war selbst unser Goalie Thommy sprachlos. Es wurde auf dem Platz applaudiert.
Heute denke ich, das war zwischen Jenny und Stuart so abgesprochen. Wir waren längst abgereist, da war sein Treffer für das Tor des Monats in Schottland nominiert.
Wir, von Zeughof United, kommen gern nach Kelso. Seit 2013, zum dritten Mal. Angeregt durch die Freundschaft aus den 80er-Jahren zwischen Fritz, unserer Lunge, und Ian, dem eleganten Stocherer und Spielführer der Schotten. Die Gerstensäfte fließen in Strömen durch die Gefäße, wohingegen der Regen sich jedes Mal nobel zurückhält. Retour kamen unsere Freunde um Ian, Simon, Bill und Michael 2019 und in diesem Jahr an die Spree zum Rückspiel des „Kelsico“.
Kelso liegt hart an der Grenze zu Northumberland, der nördlichsten englischen Grafschaft, an dem malerischen Flüsschen Tweed. Zweimal im Jahr, April-Mai und wieder im September fliegen Heerscharen von nichtsnutzigen Millionären ein, um im knietief perlenden Wasser Lachs und Forellen zu fischen. Das Städtchen ist stets freundlich zu uns gewesen, eine Kleinstadt mit Getreidemühle, 18-Loch-Course und diesem ungeheuer satten Grün um Floors Castle und weiter in den Hügeln: die von den Schotten geschliffenen Ruinen von Roxburgh Castle, einer untergegangenen Dynastie. Sir Walter Scott, der Verfasser des Ivanhoe, ging hier zur Oberschule. Er bezeichnete Kelso einmal als das schönste Dörfchen Schottlands. Das war um 1800.
Unser Spiel endete 222 Jahre später ganz unromantisch 3:8, obwohl wir freundliche Verstärkung durch den pfeilschnellen Joe hatten. Aber unsere Flügelzangen, die Nachwuchskicker und so manch ein Führungsspieler aus der Zeughofhallenwelt waren wohl überrascht von den langen Anfahrtswegen zum gegnerischen Tor, es war Großfeld und wir vermutlich noch im Jetlag: lediglich Gil und Jo trafen. Beim Ausflug am Abend zum Beer Festival nach Berwick-upon-Tweed (englische Ostküste) stand dann das Remis stabil zwischen Craftbeer, Riesenrüben, Fish’n’chips, Tanzboden und über allem: knackige Seeluft und eine stoische Drummerin. Nach den last orders schaukelten wir im 22-Sitzer gemeinsam hin und zurück zu unseren Gastgebern, um uns für den zweiten Höhepunkt am nächsten Tag zu erholen: das legendäre Grillgelage im urban garden am Ende von Victoria & Albert Place mit Meatballs-Hochhalten, Broccoliröschen auf dem Bierdeckel-Austanzen und Flaschendrehen am Deuserband. Es war wie immer: „sound as fuck“.
Im Mai diesen Jahres kam es zur Revanche. Laut David Beckham gibt es keine Freundschaftsspiele mehr. Sagt auch Ronaldinho Völler. Wir mussten uns was einfallen lassen, der Ältestenrat um Reiner, Crish, Thomas und Greg probierte in einem nicht näher genannten Lokal der fernöstlichen Wettmafia an der Kantstraße was Neues: Viererkette! Aus Brotkrumen. Tore werden zwar vorn geschossen, Meisterschaften jedoch hinten gewonnen. Und da alles Neu macht der Mai, musste ein neues Trikot her, mit neuem Motto, das unserer La Mannschaft erstmal übersetzt werden musste: Weak by time but strong in will (geborgt bei Sir Alfred Tennyson, einem Engländer, um die Schotten gleich mal zu verwirren).
Die Freunde aus Kelso reisten dezimiert an, Muskelrisse, keine Freigabe vom Verband, wichtige Auswärtsspiele, egal: Ihr seid uns stets willkommen! Ein paar talentierte Ergänzungsspieler wurden tags zuvor in der U-Bahn rekrutiert, Junioren aus dem familiären Umfeld wurden gleich in die erste Mannschaft befördert und am 13. Mai wurden auf einem Kleinfeldplatz im Bezirk Neukölln die Mannschaften bunt gemischt. Wie früher auf dem Bolzi in der Siedlung. Das Spiel endete. Irgendwann. Es war heiß, es gab Brause am Clubbüdchen vom Lichtenrader BC 25 und Reiner (25 Jahre Hansa 07) öffnete später seinen Garten. Es gab Bananenflanken für alle. Natürlich vom Grill.
Und in 2024: ein Wiedersehen. Scotland rules, Germany wins. Na ja. Let’s see.